Experimente können Vieles aufzeigen. Aber nicht alles. Schon klar. Dennoch bringen so einige Experimente Aufschlussreiches zutage. Roboter oder Menschen opfern? Wie würdest du entscheiden?





Mirror Mirror on the wall



Im Jahre 1961, die Schrecken des Zweiten Weltkrieges waren noch nicht verdaut, fragte sich der Psychologe Stanley Milgram, wie dieser bedingungslose Gehorsam Vieler hatte entstehen können. Wie konnte es zur Ermordung so vieler Menschen kommen? Wer führte diese Befehle aus? Nicht nur in diesem Krieg, auch in früheren Kriegen beziehungsweise allgemein bei Völkermorden.

 Nicht zuletzt geht es um die bewusste und unbewusste Abwertung der anderen Völkergruppe. Um das Schüren von Vorurteilen, genauso wie um die Steigerung von Ängsten und vermittelte Ressourcenknappheit. Jenes sind Gruppenphänomene; die psychologischen Mechanismen dahinter sind bekannt.
Aber wie steht es um jeden Einzelnen, wenn er selbst die Entscheidung treffen muss? Ohne die Angst, der andere würde einem »etwas wegnehmen«. Ohne dass vermittelt wird, der andere würde »irgendwie anders« sein. Wie steht es dann um die Ausübung eines grausamen Befehls?

Milgrams Spiegel

Menschen mit selbstgebastelten Flügeln

Experimente haben die Menschheit vorangebracht, auch psychologische. © foam under cc

Nicht gut. Soviel ist sicher. Die Milgram-Experimente zeigten ebenjenen Spiegel vor. Sie machten deutlich, dass nahezu jeder, selbst wenn er sich in einer vermeintlich friedvollen Situation befand, dazu fähig gewesen wäre, zu foltern. Blindlings. Auf Befehl. Probanden sollten einem Menschen, der nicht sichtbar, aber hörbar für sie war, Stromschläge geben. Rein auf Befehl des experimentellen Versuchsleiters. Die Bereitschaft zur Ausübung dieses Befehls war erschreckend hoch, ungeachtet dessen, dass sie das Leid der Schmerzen verursachenden Stromschläge hören konnten. Nicht wenige gingen sogar soweit, einen tödlichen Stromstoß zu versetzen. Kaum einer widersprach. Selbstverständlich war alles nur Simulation und niemand kam zu schaden – bis auf das Gewissen der Probanden.

Milgram II

Wer nun glaubt, dies alles beträfe Menschen aus früheren Dekaden, der irrt. Im Jahre 2009 wiederholte der Psychologe Jerry Burger von der Santa Clara University die Experimente und erzielte – wider besseren Wissens, mehr Aufklärung und Humanität der Menschheit – die gleiche Bereitschaft zur Gehorsamkeit und zum Menschen opfern angesichts von Autoritäten.

Gründe für Grausamkeit

Natürlich sind die Ergebnisse nicht nur Schwarz auf Weiß zu interpretieren. Zum einen wähnten die Versuchspersonen sich in einer wissenschaftlichen Situation. Der Versuchsleiter galt als eine vertrauenswürdige Autorität, welche fortwährend versicherte, dass alles so in Ordnung sei, und auf deren Einschätzung man sich verließ. Zutreffend ist auch, dass diese experimentelle Situation für die Probanden eine völlig neue war, mit der sie sich überraschend konfrontiert sahen. In solchen Momenten greifen Menschen häufig auf stereotype Verhaltensweisen zurück oder, so diese nicht vorhanden sind, orientieren sie sich am Verhalten anderer. Zudem tasteten sie sich mit kleinen Stromstößen vor. Salopp formuliert: Bis auf die Schmerzensschreie passierte nichts Erschreckendes und so wähnte man sie in falscher Sicherheit. Psychologische Mechanismen der Verantwortungsdiffusion spielen hierbei eben auch eine Rolle. Wenn die Last auf mehreren Schultern ruht, wird sie gemeinsam getragen. Niemand kann direkt zur Verantwortung gezogen werden, denn es machen ja »alle«. Sicher nicht zum letzten Mal bedienen sich diktatorische Regime solcher menschlichen Eigenarten.

Hier der Schritt vom Experiment zum alltäglichen Leben: Ein Vorgesetzter, dem man vertraut. Der einem sagt, wo es lang geht. Eine Gruppe, auf die man Bezug nehmen kann. Die einem gleichermaßen Schutz als auch Identität liefert. Die sogenannte In-Group. Eine andere Gruppe, die einem droht, die Ressourcen wegzunehmen (so jedenfalls wird es suggeriert). Der Befehl, etwas dagegen zu tun. Seinen Beitrag zur Rettung der eigenen Sippe zu leisten. In den Wirren des Krieges oder in Zeiten des Umbruchs, in denen Vieles zu entgleisen droht.
 Was kann man gegen solche psychologischen Phänomene tun?

Grausamkeit erwächst aus Schwäche

Stromlinien kreisförmig bunt

Würdest du Menschen opfern und Stromschläge geben, nur weil es dir jemand sagt? © Bob Doran under cc

Folglich wäre, die Menschen zu stärken, oberste Priorität, damit sie sich auflehnen und nicht willenlos andere Menschen opfern. Demokratische Werte weiter zu etablieren, sodass die Kinder sie »bereits mit der Muttermilch aufsaugen können.« In den Schulen wird immer noch eine Maxime der Machtunterordnung und des Gehorsams gelebt. Dabei existieren längst neue Ansätze in Bildung und Erziehung, die sich etabliert haben. Demokratische Schulen zum Beispiel, in denen Lehrer und Kinder auf Augenhöhe agieren und alle denselben gemeinsam beschlossenen Regeln des Zusammenlebens folgen. In denen jeder gleich ist. In denen jeder zum selbstständigen Denken animiert wird und seine Meinung ausdrücken kann, darüber hinaus mit den Instrumenten der Demokratie etwas bewirken kann. Wenn Kinder dies von Erwachsenen vorgelebt bekommen und leben dürfen, dann haben wir eine Chance, den kulturell antrainierten Mechanismen wie Autoritätshörigkeit und Gehorsam zu entfliehen.

Ob wir wollen oder nicht: Wir sind mehr über Emotionen steuerbar, als wir als Aufgeklärte wahrhaben wollen. Jenes sollte uns bewusst sein, damit wir es angehen können.
Im nächsten Artikel folgt ein anderes kürzlich durchgeführtes experimentelles Szenario: Würdest du die Menschen opfern? Oder den Roboter? Die Ergebnisse werden überraschen.