Eltern können etwas tun, um ihren Kindern die Angst vor der Spritze beim Kinderarzt oder im Krankenhaus ein wenig zu nehmen. Offenbar scheint das Verhalten der Eltern während der „Prozedur“ entscheidend den Schmerz des Kindes zu beeinflussen, wie Schechter et al. (2007) nach der Auswertung mehrerer Studien resümieren. Über die Hälfte der Varianz des Leidens der Kinder ist durch das mütterliche (bzw. väterliche) Verhalten erklärbar.

Wie also sollen sich Eltern während der Prozedur verhalten, um bei ihrem Kind die Angst vor der Spritze zu vermindern?

Elternverhalten während der Spritze beim Kinderarzt

Das am häufigsten gezeigte Elternverhalten ist die Beruhigung des Kindes während der Prozedur. Überraschenderweise zeigen Schechter et al., dass dies eher das Leiden des Kindes verstärkt. Auch Mitgefühl zeigen, das Kind beschwichtigen („Ist doch nicht so schlimm.“), tadeln („Stell Dich nicht so an!“), sich zu entschuldigen oder zu rechtfertigen („Tut mir leid, aber es muss sein.“) sowie dem Kind die Kontrolle zu überlassen („Wo soll denn gespritzt werden?“), scheinen das Leid des Kindes zu erhöhen. Diese Verhaltensweisen sollten also eher unterlassen werden.

Stattdessen zeigen die Daten der ausgewerteten Studien, dass Ablenkung während der Prozedur als eine der Schlüsselinterventionen bei Injektionen und generell als Schmerzmanagement-Technik angesehen werden kann.

Ablenkung als entscheidender Faktor zur Schmerzverringerung beim Kind

Offenbar verringert eine humorvolle Ablenkung das Leiden der Kinder beim Spritzen deutlich.

Theoretisch kann dies so erklärt werden, dass durch Ablenkung die kognitiven Ressourcen, welche sich sonst ausschließlich auf die Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung konzentrieren würden, vermindert werden. Auch neurophysiologische Daten bestätigen, dass durch Ablenkung eine verringerte Hirnaktivität in den für die Schmerzverarbeitung zuständigen Arealen zu finden ist.

Eltern (oder wahlweise das Personal) sollten also versuchen, die kleinen Patienten von der Prozedur des Spritzens abzulenken, damit diese weniger Ängste davor entwickeln.

Abgelenkt werden kann durch…

  • eine Sache, mit der schon einmal etwas Positives assoziiert wurde, z.B. das Lieblingsspielzeug,
  • Verhalten, das inkompatibel mit dem Schmerzverhalten ist, z.B. Lachen bei einem Film,
  • ein Gespräch mit dem Kind über etwas anderes als die Behandlung,
  • das Coachen des Kindes durch die Prozedur („Schau mal hier her!“, „Drück meine Hand, so fest Du kannst.“),
  • ein überraschendes Huhu, Hallo, Winken oder ähnliches, zeitgleich zum Spritzeneinstich
  • und vieles mehr.

Es gilt, je mehr die Kinder in die Ablenkung involviert sind, desto geringer ist ihr Schmerz. Auch wenn während der Behandlung Beruhigung eher kontraproduktiv ist, nach der Prozedur kann und sollte das Kind entsprechend getröstet werden.

Mutter mit Kind auf Schoß

Körperkontakt zwischen Mutter und Kind © Simon under cc

Körperlicher Kontakt durch Mutter bzw. Vater

Optimal ist es, das Kind auf dem Schoß zu platzieren. Ist es Eltern aus verschiedenen Gründen nicht recht, ihr Kind während der Prozedur zu halten, sollten sie aber im Raum anwesend sein. Körperlicher Kontakt und Anwesenheit vermitteln dem Kind einen gewissen Schutz und das Gefühl nicht allein zu sein.

Zusammengefasst sind also Nähe und vor allem humorvolle Ablenkung während der Behandlung Punkte, die Eltern für ihr Kind tun können, um das Leid beim Spritzen zu vermindern. Darüber hinaus können verschiedene situative Faktoren dazu beitragen, die Prozedur für die jungen Patienten zu erleichtern.

Weitere Faktoren zur Schmerzverringerung beim Kind

Die Nutzung „natürlicher Beruhigungsmittel“ bei Babys sowie verschiedene medizinische Bedingungen können ebenfalls das Schmerzempfinden der Kinder vermindern, wie Schechter et al. zeigen.

Saugen für Kinder unter 6 Monaten

Saugen bzw. Nuckeln dient anscheinend nicht nur zur Beruhigung bei Babys, sondern hat auch einen schmerzlindernden Effekt.

Auch kann eine zuckerhaltige bzw. Sucrose-Lösung, verabreicht direkt in den Mund mit einer kleinen Spritze, einem Sauger oder einem Nuckel, das Leid bei Kindern unter 6 Monaten reduzieren. Bewährt hat sich dabei ein Päckchen Zucker auf 10 ml Wasser oder eine andere süße Lösung, welche vor der Prozedur verabreicht wird. Offenbar interagiert Sucrose mit den opioiden Pfaden im Gehirn und wirkt schmerzlindernd bzw. -hemmend. Diese Taktik scheint am besten bei Neugeborenen zu helfen, verliert jedoch ihre Effektivität im Alter von 4-6 Monaten.

Medizinische Gegebenheiten: Ort und Art des Spritzens

Abhängig vom Alter scheinen die Körperregionen zu variieren, bei denen das Schmerzempfinden durch die Spritze am geringsten ist. So ist die günstigste Körperstelle für intramuskuläre Injektionen bei Kindern unter 18 Monaten offenbar der vastus lateralis am vorderen Oberschenkel. Bei Kindern über 36 Monaten scheint dies dagegen der Deltamuskel am Oberarm zu sein. Bei 18-36 Monate alten Kindern ist die Studienlage kontrovers, wie Schechter et al. resümieren. Darüber hinaus gibt es aber auch Studien, die sagen, dass für alle Altersgruppen die Injektion ventrogluteal (seitlicher Pobereich) erfolgen sollte.

Wichtig ist vor allem, dass der Muskel entspannt und locker ist. Dies sollte durch die Körperhaltung unterstützt werden. Überraschenderweise zeigen Studien zudem, dass je länger die Nadeln sind, desto weniger scheint der Schmerz und die lokale Reaktion zu sein. Lange Nadeln sollten also kein Grund mehr zur Furcht vor Spritzen sein.

Bezüglich weiterer Informationen zu den medizinischen Bedingungen, welche das Schmerzempfinden beim Spritzen vermindern können, sei direkt auf den Review von Schechter et al. verwiesen.

Vermutlich kann die Angst vor der Spritze dem Kind nicht vollends genommen werden, aber sie kann mit diesen Strategien eventuell vermindert werden. Auch werden Eltern sich eventuell beim nächsten Kinderarzttermin nicht mehr ganz so hilflos fühlen. Denn sie können ihrem Kind durch eine humorvolle Ablenkung helfen, weniger an die Spritze zu denken.

Wichtig ist, selbst ruhig zu bleiben und sich so normal wie möglich zu verhalten, als würde es um Windeln wechseln oder Haare waschen gehen. Letztendlich ist die Spritze beim Kinderarzt etwas, das gemacht werden muss, bei dem die Eltern ihr Kind aber entscheidend unterstützen können.

Wie Eltern durch eine angemessene Vorbereitung schon vor dem Arzttermin ihrem Kind die Angst vor der Spritze ein wenig nehmen können, lesen Sie im Artikel Weniger Angst vor der Spritze beim Kinderarzt – Die Vorbereitung.

Quelle:

  • Schechter, N.L., Zempsky, W.T., Cohen, L.L., McGrath, P.J., McMurtry, C.M. & Bright, N.S. (2007). Pain Reduction During Pediatric Immunizations: Evidence-Based Review and Recommendations. Pediatrics, 119 (5), e1184-1198.