kolorierte Zeichnung eines Kopfes

Wilhelm Buschs Lehrer Lämpel, gemeinfrei Busch Gesamtausgabe in vier Bänden, W. Busch, 1865

Der Glaube an die Vernunft ist eine eigenartige Formulierung, denn Vernunft und Glauben schließen sich in unserem Weltempfinden und Sprachgebrauch zumeist aus. Entweder man glaubt, dann ist man unvernünftig, zumindest nicht ganz rational, oder man glaubt nicht, das erscheint vernünftig und seriös zu sein.

Diese Ansicht geht nicht zuletzt auf Sigmund Freud, den Urvater der Psychoanalyse, zurück. Obwohl er ein Pionier in der Erforschung des Unbewussten war, hielt er zugleich auch am Rationalismus fest und war der Überzeugung, die Stimme der Vernunft oder des Intellekts sei zwar leise, würde sich aber letztlich durchsetzen. An anderer Stelle sagte er, konträr dazu, dass der Mensch nie ganz rational sein könne und unbewusste Faktoren ihn immer beeinflussen würden.

Freud ist hier noch beseelt von der Stimmung der Aufklärung, die dem Menschen zutraute, den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu finden und sich über die Natur, die Triebkräfte und die Unvernunft zu erheben, wenn nicht heute, so doch in nächster Zeit. Schon Kant und später Marx schöpften aus dieser Quelle und der Glaube an die Vernunft ist auch bei ihnen dominierend.

Zweifel

Doch nicht erst in letzter Zeit kommen Zweifel auf. Trotz guter Argumente und oft wider besseres Wissen verhalten wir Menschen uns nicht sonderlich vernünftig. Der Glaube daran, dass Wissenschaft und Technik die Probleme unserer Zeit alle lösen werden, er schwindet. Aber mehr noch, es wächst das Bewusstsein, dass mit abstrakten, rationalistischen Regelungen irgendwie kein Staat zu machen ist.

Nicht weil sie schlecht wären, das Gegenteil ist der Fall. Die Vernunft, die Zügelung unserer Begierden und Affekte, ist oft ein unbestreitbarer Vorteil und wird doch zugleich als kalt empfunden, löst ein Unbehagen aus, das Freud schon vollkommen bewusst war.

Der andere Punkt ist, dass der religiöse Glaube, die Tagträumerei, die inneren Bilderreisen, Phantasie, all das was lange Zeit als unrealistisch und infantil galt, heute in einem anderen Licht gesehen wird. Wir wissen inzwischen, dass der Wert des Glaubens und von Phantasien schon allein darin liegt, dass man glaubt und imaginiert.

Ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Glauben und Vernunft bleibt dennoch erhalten. Vollkommen unrealistische Größenphantasien bringen nicht den erwünschten Erfolg, alle Idealisierungen sind in einem gewissen Grad gesund und kippen dann irgendwann ins Ungesunde. Man kann sich die Welt nicht wünschen, wie sie einem gefällt, das kollidiert schon damit, dass andere sich ihre Welt anders wünschen.

Die Aufklärung

Die Aufklärung war das Projekt, den Menschen qua eigener Denkleistung aus der geistigen Unmündigkeit zu befreien. Neben den mythisch-religiösen Einengungen und Dogmatismen, auf die die Aufklärer zurecht hinweisen und zu denen sie in den folgenden Dekaden eine Alternative aufzeigten, gab es recht früh Tendenzen, dass Menschen sich davon eher ernüchtert als befreit zeigten.

Projekte wie die Romantik, die spiritualistischen Zirkel, die Naturbewegungen und die Avantgarde der modernen Kunst waren unterschiedliche Strömungen, die schon im 19. Jahrhundert einen Kontrapunkt setzten, der Glaube an die Vernunft erschien hier nicht immer als der Weisheit letzter Schluss.

Der Glaube an die Vernunft und seine Grenzen

Eine Frage müssen wir uns stellen:

Warum sollte das Streben nach Erkenntnis oder Wahrheit, höher als das Streben nach Glück rangieren?

denkender Mann in Stein

Rodins Sinnbild eines Denkers © sunsheincity under cc

Denn das ist die stillschweigende moralische Überzeugung vieler Menschen heute, die sagen, ihnen ginge es um Wahrheit, Aufrichtigkeit und darum, sich nicht selbst etwas vorzumachen. Wenn der Weg über Wahrheit und Vernunft uns aber letztlich frei und glücklich machen soll, warum dann keine direkteren Wege anstreben?

Der andere Punkt: Es ist durchaus vernünftig zu glauben und dies nicht mit aller Gewalt als unreife Haltung zu entwerten. Dennoch kann man schlecht glauben, wenn man meint, man müsse es tun, weil es irgendwie gesund und sinnvoll ist und einige Vorteile bringt, doch in Wirklichkeit auf unsinnigen Prämissen beruht, die man nicht teilen kann. Eine etwas kafkaeske Situation, in die der Glaube an die Vernunft führt. Entweder man hat das Gefühl sich selbst zu belügen, oder man lässt erwiesen positive Faktoren für das Leben links liegen.

Der Ausweg aus dieser selbstverschuldeten Unmündigkeit liegt vielleicht darin, dass man sich selbst schrittweise überzeugt, dass die seriöse psychologische Forschung ihre Einstellung zu Glauben und Vernunft geändert hat. Nicht nur sie.