Mann allein im Zimmer

Warum immer ich? © Ben Salter under cc

Warum immer ich? Wer kennt diesen Gedanken nicht?

Im Kleinen: Man hat es eilig und ausgerechnet heute sind alle Ampeln auf rot, fährt einem der Bus vor der Nase weg. Im Großen: Immer habe ich Pech. Allen anderen fällt das Leben leicht, sie haben Glück, einen Partner, Geld, sehen gut aus, nur mir legt das Schicksal immer Steine in den Weg.

Selektive Wahrnehmung

Vieles hängt mit uns selbst zusammen. Ohne Zeitdruck ist die Ampel statistisch gesehen genauso oft rot, nur wir sind dann halt entspannt, hören Musik, schreiben eine SMS, schauen uns das Auto oder die Leute neben uns an oder in den Spiegel. Dass die Ampel rot ist oder eine sonstige Verzögerung eintritt, fällt uns kaum auf, denn wir nutzen die Zeit.

Anders ist das natürlich, wenn wir einen dringenden Termin haben oder auf den letzten Drücker unterwegs sind. Nun bringt uns jede kleine Verzögerung in Spannung und manche nutzen das sogar unbewusst, denn theoretisch könnte ja jeder pünktlich losfahren, praktisch tun es viele nicht.

Wenn wir uns mit anderen vergleichen, dann nehmen wir unsere Gesamtheit, manchmal auch nur die Gesamtheit unserer Unzulänglichkeiten, und vergleichen sie mit einzelnen oder wenigen Aspekten der anderen. „Sie hat so schöne Haare, ich nicht, warum habe ich immer so’n Pech?“ „Der ist so selbstbewusst, ich so schüchtern, das ist ungerecht.“ Ob Kraft oder Intelligenz, Freunde oder Aussehen, Erfolg in Beruf oder Partnerschaft, in einzelnen Bereichen hat es immer jemand besser. Die Frage „Warum immer ich?“ taucht dann auf, wenn wir nicht die Gesamtheit der anderen betrachten. Die mit den schönen Haaren hat vielleicht eine totkranke Mutter und würde ihre Haare gerne opfern, wenn es der Mutter nur besser ginge. Der Selbstbewusste musste vielleicht so werden, weil er von klein an immer kämpfen musste und kaum einer für ihn da war. Die Erfahrung lehrt, dass jeder eine Leiche im Keller hat. Das Traumleben, wie am Schnürchen, gibt es im Kino, aber nicht in der Realität.

Aber warum immer nur auf die eigenen Schwächen gucken? Viel interessanter ist herauszufinden, wo meine Stärken liegen. Das weiß man nämlich oft nicht. Die Einstellung, dass alles an mir schlecht ist, ist ziemlich depressiv und einseitig. Man kann sie ändern und sofort damit anfangen. Die Gesamtsumme ist entscheidend, nicht ob der kleine Finger die perfekte Form hat oder sich immer wieder zu sagen, was man alles nicht kann.

Negative Erfahrungen bleiben stärker haften

Wenn wir Essen gehen und alles wunderbar schmeckt, dann nehmen wir das so hin. Das haben wir erwartet, darum sind wir Essen gegangen. Nicht der Rede wert. Aber wenn die Suppe versalzen und das Fleisch zäh war, das bleibt haften. So ist es auch, wenn wir im Geschäft unfreundlich bedient werden, die neue Hose nach dem dritten Waschen kaputt geht oder der neue Toaster die ersten 14 Tage nicht überlebt. Das ist es oft, an was wir denken und dann haben wir das Gefühl, das Leben sei eine Kette von Pleiten, Pech und Pannen. Manche Forscher sprechen davon, dass es 19 positive Erfahrungen braucht, um eine negative wieder auszugleichen, gesichert ist jedoch, dass negative Erfahrungen besser haften bleiben.

Das ist biologisch durchaus sinnvoll. Es ist unökonomisch, sonderlichen Wert auf die Normalität zu legen. Wir sind darauf ausgelegt, Abweichungen sofort zu bemerken. Das ist schon bei Tieren sinnvoll: Läuft alles normal, sind sie entspannt, ist irgendetwas anders, müssen sie hellwach sein, da Gefahr droht oder Beute lockt.

Auch uns fällt abweichendes Verhalten auf, es reizt uns. Entweder macht es an oder empört, manchmal beides. Die Vielen, die sich brav in die Supermarktschlange einreihen, haben wir gleich schon wieder vergessen, an den, der sich dreist vordrängelt, erinnern wir uns. Und auch die eigenen Missgeschicke bleiben stärker haften. Warum immer ich? Weil ich mich an Misserfolge besser erinnere, als an das, was glatt läuft.

Glückspilze und Pechvögel

Dennoch scheint es Glückspilze und Pechvögel tatsächlich zu geben. Was sie unterscheidet, ist nach einer englischen Studie die Zeitspanne bis zur Entscheidung. Glückspilze greifen eher zu, während Pechvögel zaudern. Haben sie sich dann doch entschieden, ist der potentielle Partner, Arbeitsplatz oder Griff ins Glück oft weg. Was bleibt ist die Frage: Warum immer ich? Wieder hat ein anderer mehr Glück, scheinbar. Dabei kann man selbst viel ändern unter anderem auch beim Scheitern.