Katze, Hand und Blume

Alles nur Reiz und Reaktion? © Sylvester S. under cc

Das Verhältnis von Mensch und Tier ist reichlich sonderbar. Wir tun alles für Tiere und quälen sie und kriegen das sogar in ein und derselbe Person zusammen. Es kam nicht selten vor, dass eine ältere Dame herzensgut zu ihrem Hund war, der im Café auf ihrem Schoß saß und gleichzeitig Pelzmantel trug. Auch sind viele Haustiere in nicht wenigen Familien fast Familienmitglieder, wir setzen Himmel und Hölle in Bewegung um Katzen von Bäumen und kleine Hunde aus Baugruben zu holen, gleichzeitig unterstützen wir aber eine Form der Massentierhaltung, bei der jedem klar ist, dass das traurige Leben der dort nicht selten qualvoll gehaltenen Kreaturen seine Erlösung erst dann findet, wenn sie getötet werden.

Wieviel Tier ist im Menschen?

Die Psychologie ist in weiten Teilen überhaupt nur denkbar, weil Psychologen Anleihen bei dem Verhalten von Tieren nehmen. Soll heißen, je besser wir die Tiere verstehen, desto besser verstehen wir uns. Längst fließen die Erkenntnisse der Primatenforschung in die Psychologie und Philosophie ein. Mal in seichterer, mal in anspruchsvollerer Form.

Es ist vor allem die Aufgabe der modernen Psychologie, die besten Triebtheorien ihrer Zunft, die hier vor allem aus der modernen Psychoanalyse kommen mit den besten Triebtheorien der Ethologie (vergleichende Verhaltensforschung) abzugleichen. Eine Arbeit für die exemplarisch Forscher wie Rainer Krause („Allgemeine psychodynamische Behandlungs- und Krankheitslehre“) oder Norbert Bischoff stehen, die sich in der Welt der verhaltensbiologischen und psychologischen Triebtheorie gleichermaßen auskennen. Frans de Waal und Michael Tomasello bereichern die Diskussion in der Philosophie und auch der kürzlich verstorbene Neuropsychologe Oliver Sacks könnte hier genannt werden.

Schon lange ist klar, dass wir Verhaltensweisen, die wir bei Tieren sehen, in der einen oder anderen Weise zuweilen auch bei uns Menschen finden. Zwei Haltungen sind jedoch ungesund. Die vorschnelle Vermenschlichung von Tieren und die Reduzierung menschlichen Verhaltens auf reine Triebe. Was uns verbindet sind grundlegende Affekte. Affekte sind die Bausteine der Triebe und ein Teil des Motivations- und Kommunikationssystems des Menschen und der Tiere. Evolutionsbiologisch sind sie vermutlich entstanden um die Brutpflege zu optimieren. Während manche Tierarten auf Masse setzten, haben die höheren Säugetiere auf wenige aber gut behütete Nachkommen gesetzt. Es ist dabei von Vorteil, wenn die Mutter erkennt, wie es den Nachkommen geht und die Fähigkeit Affekte zu lesen und auszudrücken ermöglicht genau das.

Temple Grandin, eine autistische Professorin für Viehzucht, schrieb mit „Ich sehe die Welt wie ein frohes Tier: Eine Autistin entdeckt die Sprache der Tiere“ ein fulminantes Buch über die Welt der Autisten und der Tiere, deren Empfinden sie für vergleichbar hält. Das ist jedoch keinesfalls abwertend gemeint, wer es so empfindet stellt bereits den Menschen über das Tier und wir wissen nicht genau, ob das überhaupt gerechtfertigt ist. Grandin macht sich das was sie als Ähnlichkeit empfindet zunutze, indem sie, bei gehaltenen Zuchttieren, mit einem Blick erkennt, was Tiere ängstigt. Eine reflektierende Pfütze hier, ein flatternder Regenmantel dort, sie sieht es sofort.

Gibt es eine Grenze zwischen Mensch und Tier?

Früher war scheinbar alles einfach. Da war von Beginn an klar, dass es eine unüberwindbare Grenze zwischen Mensch und Tier gibt. Der Grund sollte der sein, dass, nach Descartes, der Mensch eine Seele hatte, das Tier nicht, es galt als seelenloser Apparat. Eine Einstellung, die von manchen auch dem Christentum zugeschrieben wird, der alttestamentarischen Aufforderung, sich die Erde untertan zu machen. Doch das Konzept der Seele, sowie die Stellung der Religion in der westlichen Welt ist im hohen Maße umstritten. Nichtsdestotrotz haben wir noch immer die Einstellung, dass Tiere „nur“ Tiere sind.

Wenn die Antwort auf eine Frage bereits fest steht, werden nur noch Gründe gesucht, die die Vorurteil stützen. Das Tier sei dumm und gefühllos, man bezweifelte gar, dass Tiere Angst oder Schmerzen empfinden könnten. Die Legende will, dass die alten griechischen Philosophen den Menschen als nackten Zweibeiner betrachteten, bis jemand ein gerupftes Huhn über den Zaun schmiss. Dieser ersten Enttäuschung in der Frage nach der Grenze zwischen Mensch und Tier folgten weitere, vor allem in jüngster Zeit.

Aber zunächst ist Tier nicht gleich Tier. Schnecke, Mücke, Lurch und Katze trennt jede Menge. Doch verhaltens- und neurobiologisch bestehen immer weniger Zweifel, dass Tiere fühlen, denken, sogar rudimentär Moral empfinden und nach und nach wird so gut wie jede ehemalige Trennlinie zwischen Mensch und höheren Tieren kassiert. Affen können Zahlenreihen richtig erkennen, schneller als Menschen. Das führte dazu, dass einige der Meinung sind, der Unterschied zwischen Mensch und Tier sei gar nicht qualitativer, sondern lediglich quantitativer Natur.

Bevor man jetzt innerlich „Jawoll“ oder „Auf keinen Fall“ ruft, der Teufel steckt im Detail, hier besonders. Denn bevor man sich entscheidet ob der Übergang nun so oder so ist, was ist denn nun der Unterschied zwischen Qualität und Quantität. Ist Balletttanz nur das etwas andere Laufen oder eine neue Qualität? Ist eine ferngelenkte Drohne eigentlich auch nichts anderes als eine Keule? Wann wird aus etwas mehr und etwas besser, etwas qualitativ anderes? Die Frage ist kaum allgemeinverbindlich zu beantworten.

Und doch trennt Mensch und Tier noch immer etwas. Vermutlich die Fähigkeit ein Wir-Gefühl zu entwickeln. Dass man als Individuum bewusst dem Wohl der Gemeinschaft dient, das ist bei Tieren nicht zu finden. Und zwar nicht aus angeborenen Verhaltensmuster, sondern aus gutem Grund. Aber der Fairness halber sei gesagt, dass das längst auch nicht alle Menschen hinbekommen. Prinzipiell könnten wir es aber. Ansonsten, und das geht fließend ineinander über, verläuft eine andere Trennlinie entlang der sprachlichen Fähigkeiten.

Es ist nicht sonderlich spannend wie viele Begriffe in Form von Lauten, Gesten oder Symbolen manche Tiere auswendig lernen können, die eigentliche Frage ist, ob sie logische Klassen bilden und mit Konditionalen umgehen können. Verstehen sie den Unterschied zwischen „Einige“, „Kein“ und „Alle“, haben sie einen Begriff von „Jeder“ und „Niemand“? Sind sie in der Lage ein „Was wäre wenn, …?“ zu denken? Sie ihre Zukunft oder Vergangenheit anders vorzustellen, zu planen? Manche Affen scheinen das in engen Grenzen zu können, doch es gibt andere Experimente wo sie diesbezüglich versagen.

Eine faire Grenze

Wie wäre eine Grenze zu formulieren, die fair ist, die nicht schon vorselektiert, weil man meint, dass Tier eben Tier und Mensch eben Mensch bleiben muss? Was uns tatsächlich unterscheidet ist die Fähigkeit einander unser Verhalten und unsere Denken zu begründen. Fast immer können wir das und verlangen das sogar vor uns selbst. Wenn wir es dennoch nicht ständig tun, dann liegt das einzig daran, dass viele Verhaltensweisen unseres Alltags durch unausgesprochene Übereinkünfte geregelt sind. So lange man in diesem Muster bleibt, fragt niemand nach, verlässt man die gewohnten Bahnen, haben andere das Recht nachzufragen. Insofern wissen wir immer, warum wir tun, was wir tun und könnten es im Zweifelsfall jederzeit begründen.

Das geht sogar so weit, dass wir der Meinung sind, wie seien stets die Initiatoren unserer Handlungen, selbst dann, wenn wir es nicht sind. Für Freud war das eine revolutionäre Erkenntnis, dass wir nicht einmal Herr im eigenen Haus sind, aber dennoch behaupten, es zu sein. Rationalisierung heißt das in der Psychoanalyse und ist ein anderer großer Abwehrmechanismus. Dieses Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen zeichnet den Menschen aus, aber, theoretisch könnten auch Tiere daran teilnehmen. Offenbar können das aber auch jene Tiere nicht, die in der Lage sind, Laute perfekt zu imitieren, wie Aras, Beos und dergleichen. Und auch wen man auf eine gemeinsame Symbolsprachen umschaltet, gibt es die oben beschriebenen Grenzen. Hier stellt sich jedoch eine andere Frage: Könnte es denn sein, dass Tiere einfach eine ganz andere Sprache benutzen als wir Menschen?

Theoretisch ja, man kann es nicht ausschließen. Aber man kann Gedankengänge oft klarer fassen, wenn man sie noch weiter zuspitzt. Natürlich kommunizieren Tiere und auch von Pflanzen wissen wir das, unklar ist nur, in welchem Umfang und auf welcher Komplexitätsstufe. Aber spitzen wir zu: Könnte es sein, dass auch Steine und Sterne kommunizieren? Steine sind nach herkömmlicher Auffassung tot und Sterne sind heißes Gas, große Fusionsreaktoren im All, mehr nicht. Oder? Man kann natürlich darüber spekulieren, aber das Argument, dass man nicht beweisen könne, das es nicht so ist, ist zwar richtig aber auch völlig unzureichend. Wer eine Behauptung aufstellt, muss auch sagen, was dafür spricht. Wenn Steine kommunizieren, woran könnten wir das merken? Was spricht dafür?

Das klingt sehr theoretisch, aber es ist längst in unsere Lebenspraxis eingesickert. Mit toten Gegenständen reden wir in aller Regel nicht. Zumindest erwarten wir keine Antwort und auch nicht, dass sie uns verstehen. Bei Pflanzen ist unsicher, ob unsere Worte eine Auswirkung haben. Mit unseren Haustieren haben wir hingegen eine Ebene der Kommunikation gefunden, die wechselseitig trägt. Nicht bis in alle Nuancen, aber sie merken, was wir fühlen, oft schneller als wir und als es uns lieb sein kann.

Mein Hund versteht mich

Das ist auch die Quelle der Einstellung, dass viele Menschen meinen, ihr Hund oder ihre Katze würde sie verstehen und wüsste genau, was es darf und was nicht. Der Klassiker ist, dass Menschen nach Hause kommen und der Hund sie „mit schlechtem Gewissen“, also unterwürfiger Haltung, an der Tür erwartet. Er weiß, so die Deutung der Besitzer, dass er was falsch gemacht hat. Nein, sagen die meisten Fachleute. Der Hund weiß nicht was richtig und falsch ist, aber er reagiert sofort auf unser Verhalten. Er merkt, wenn wir verärgert sind und versucht dann, durch angeborene Demutsgesten der Strafe zu vermeiden. Viele Haustierbesitzer würden dem jedoch widersprechen und das mit gar nicht mal schlechten Argumenten. Nämlich, dass der Hund schon von Anfang an irgendwie anders gewesen sei, als noch niemand sehen konnte, was passiert ist. Nun, das ist letztlich ein Ping Pong Spiel, bei dem wir aus Gewohnheit eher den Forschern recht geben, doch eigentlich ist es ein Kampf der Deutungen, der offener sein könnte, als manche glauben.

Tiere, so glaubt die Forschung, sind im Grunde komplizierte Reiz-Reaktions-Maschinen. Auf bestimmte Schlüsselreize reagieren sie per angeborenem Auslösemechanismus (AAM) und spulen dann ein starres Programm ab. Und zu einem Teil stimmt das auch, die Forschung hat hier viel geleistet. Auf bestimmte Reize reagieren manche Tiere deshalb immer und immer wieder, bis zur Erschöpfung und ohne Einsicht. Doch nicht alle Tiere funktionieren nach dem starren Muster. Aufgebrochen werden diese Muster dadurch, dass es bestimmte Hierarchien von Triebe gibt. Und welche Triebe dominieren entscheidet die jeweilige Situation, das Umfeld mit. Ein insgesamt dynamisches System, in dem das Tier nicht immer nur eine passive Rolle spielt.

Wer ist Markus Fiedler? Oder: Das Revierverhalten des Dreistachligen Stichlings

Manche Erklärungsmuster, die wir uns zurecht legen, übernehmen wir einfach, ohne sie zu hinterfragen. Wissen Sie noch, wer Markus Fiedler ist? Das ist der diplomierte Biologe und Lehrer, der den Film über die dunkle Seite der Wikipedia gedreht hat. In einem Interview zum Film erzählt er, von einer Fortbildung, die er besuchte, zum Revierverhalten des Dreistachligen Stichlings. Jeder, der sich früher mit Verhaltensforschung befasste, kennt den Dreistachligen Stichling. Das ist der Fisch, der angeblich auf den Schlüsselreiz der roten Bäuche seiner Artgenossen (oder Attrappen, die diesen Reiz imitieren) aggressiv reagiert und diese wieder und wieder attackiert, bis zur physischen Erschöpfung. Eine völlige Luftnummer, wie Markus Fiedler ausführt, die aber unreflektiert in die Ethologie Einzug hielt, da es sich um eine fragwürdiges Experiment mit genau einem Fisch handelte, und ewig lange dort verblieb bis sie gelöscht wurde und nun … erneut eingeführt werden sollte.[1]

Warum spielen Tiere?

Viele kennen die Antwort: Das Spiel ist kein Selbstzweck, sondern folgt einem evolutionären Nutzen. Im Spiel trainiert das Tier Fähigkeiten wie Fitness, Koordination, die es später braucht, das ist der Sinn dahinter. Oder? Der theoretische Evolutionsbiologie Prof. Dr. Peter Hammerstein bezweifelt diese Deutung inzwischen. Schon früher hätte es Experimente gegeben, bei denen man das Spiel von Katzen systematisch unterbrochen hat, so dass sie dieses Training nicht hatten. Man sollte erwarten, dass diese Katzen später Mäuse dramatisch oder wenigstens etwas schlechter fangen, als jene, die ständig üben konnten. Das Ergebnis war allerdings, dass es überhaupt keinen Unterschied gab und die untrainierten Katzen genauso gut Mäuse fingen, wie ihre trainierten Artgenossen.[2]

Das Tier ist nicht nur ein Container von Trieben oder (egoistischen) Genen, die es abspult, sondern das es wird zunehmend zu einem Akteur, in dem Maße, wie seine Freiheit wächst. Und das tut sie. Denn es kam in den letzten Jahren zu einem Umdenken in der Verhaltensforschung. Von der Art zum Individuum. Von der Arterhaltung als oberstem Antrieb, zur Durchsetzung erfolgreicher Individuen und der Weitergabe ihrer Gene. Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, doch im ersten Fall erkennt man zunehmend, dass es zwar Verhaltensweisen gibt, die typisch für Hyänen, Elefanten oder Löwen sind, aber es innerhalb der Art viel größere Unterschiede zwischen den Individuen gibt, als man bislang dachte, etwas was Haustierbesitzer oft bestätigen können.

Verstehen Hund und Katze uns nun? Oder reicht es, angeborenes Verhalten und einen unterlegten Zweck zu unterstellen, um das tierische Verhalten zu erklären? Diese Frage wird man ohne weiteres nicht beantworten können, weil die Beschreibung des Verhalten eines Tieres bereits eine Interpretation ist. Ethologen sind sich dessen bewusst und versuchen zunächst, sozusagen, in der praktischen Grundausbildung, alle deutenden Vokabeln, wie „freut sich“, „ist aufgeregt“ oder „ist ängstlich“ zu unterlassen und stur bei der Beschreibung des Tiers, seinem tatsächlichen Verhalten zu bleiben. Etwa, dass ein Tier in der Bewegung innehält und die Ohren aufrichtet, dass es sich auf den Rücken dreht und den Kopf nach hinten neigt und so weiter. Je präziser, desto besser.

Doch auch hier kommt der Tag, an dem man sich einen Reim auf das Verhalten machen muss und es deutet, will man versuchen zu erklären und nicht nur beobachten. In dem Moment stülpt man dem Verhalten aber bereits eine eigene Richtung und favorisierte Interpretation über. Das ist keine Kritik, sondern unausweichlich, nur sollte man es nicht vergessen. Wenn man diese Brille dann einmal auf hat, findet man gewöhnlich das, was man sucht. Auf einmal hat alles was passiert einen evolutionären Nutzen, beim Tier sowieso und manche Evolutions- und Soziobiologen übertragen diese Verhaltensweisen relativ ungefiltert auf den Menschen. Hier wir es erkennbar unrund und manche gehen dann nach dem Motto vor: Was nicht passt, wir passend gemacht.

Wir müssen flexibel bleiben. Vielleicht gibt es Dinge, die einfach Selbstzweck sind, die schön sind, weil Schönheit ein Ziel sein könnte. Andererseits hat man die Teleologie (Telos = Ziel) vollständig gestrichen. Doch mindestens Zwischenziele muss man wieder einführen. Wenn Menschen sich unterhalten, wollen sie sich verstehen, etwas klären und verfolgen ein Ziel. Man weiß nicht, wie weit das zu verallgemeinern ist. Der Bereich von Mensch und Tier, diese merkwürdige Kooperation über viele 10.000e von Jahren ist ja auch heute auch nicht von einem erkennbaren evolutionsbiologischen Nutzen. Aber Mensch und Tier bilden nach wie vor eine stabile Gemeinschaft, die wir weiter ausleuchten.

Quellen:

  • [1] KenFM im Gespräch mit: Markus Fiedler (Die dunkle Seite der Wikipedia), https://www.youtube.com/watch?v=4X-3-AwqkLQ 1:29:55 – 1:32:15
  • [2] Peter Hammerstein in der Sendung: Scobel, https://www.youtube.com/watch?v=dBltrlP-S2Q 09:50 – 10:55