Eisenkette

Die Kette der Leben ist ein Motiv der Wiedergeburtslehre. © Peter Shanks under cc

In der ersten Folge stellten wir verschiedene Interpretationen des Karma vor, doch neben den mitunter bedeutenden Unterschieden gibt es auch ein verbindendes Element, die moralische Verfeinerung. So gut wie immer, wenn uns der Karmabegriff begegnet, ist damit gemeint, dass sich etwas höher oder weiter entwickelt, veredelt und das in aller erster Linie moralisch oder ethisch.

Auch im Westen ist diese Sichtweise verbreitet, nicht nur in den seltenen Karmavorstellungen des Westens, sondern mehr in der Idee einer Entwicklung von Staaten oder Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Die Abschaffung der Sklaverei und der Diktaturen in der westlichen Welt, die fortschreitende Gleichberechtigung, weniger Todesopfer durch Gewalt all das wird als Fortschritt über Generationen angesehen und deutet auf eine historisch recht stabile Entwicklung hin.

Irgendwas scheint durch die Generationen weitergegeben zu werden, etwas, das durchaus als eine moralische Verfeinerung gedeutet werden kann, im westlicher Lesart vielleicht eher bezogen auf Gesellschaften, im Osten eher auf das Individuum. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn in der Vorstellung des Westens lebt man nur einmal, in Teilen des Ostens, wie wir sahen, mitunter öfter. Irgendwas, so eine häufige Idee, wird weitergeben, durch die Kette der Leben, bis man schließlich aus dem Rad der Wiedergeburten aussteigt.

So oder so, lebt die Idee einer Entwicklung in beiden großen Kulturkreisen und es geht überwiegend um eine Veredelung der Seele, um eine moralische Verfeinerung.

Ein neutraler Karmabegriff

Was ebenfalls in beiden Kulturkreisen gleich ist, ist die Intuition, dass der Mensch nicht als als leeres, weißes Blatt zur Welt kommt. Der neu geborene Mensch hat auf irgendeine Art bereits eine Geschichte, entweder eine eigene (dies eher im Osten) oder er ist schicksalhaft eingebunden in die Muster seiner Herkunftsgesellschaft (dies eher im Westen).

Neuere Forschungen zur Epigenetik zeigen, dass die genetische Disposition zu etwas der eine Teil der Geschichte der Gene ist, doch diese Gene können auch an- und abgeschaltet werden. Die genetische Disposition ist seltener als wir denken, ein Schicksal was über allem schwebt. Die Gene sind biologisches Schicksal, die Epigenetik hängt zum Teil von einem selbst, zum anderen von der Umwelt ab. Wir können noch nicht abschätzen, wo überall Natur und Kultur ineinander greifen, aber was wir wissen, ist, dass die Wechselwirkungen zwischen beiden so eminent sind, dass sich eine Trennung der Bereiche in letzter Konsequenz kaum noch aufrecht halten lässt oder nur in sehr wenigen, extremen Bereichen.

Der Mensch, der auf die Welt kommt wird hineingeboren in bestehende Muster. Diese sind zum einen familiärer Natur und die Familie ist der Ort, in dem die soziokulturelle Umwelt der jeweilige Zeit noch einmal gefiltert und interpretiert wird. Wenn man in Deutschland, als Kind deutscher Eltern geboren wird, lernt man eben die deutsche Sprache und die spezifische Art mit bestimmten Dingen umzugehen, die typisch für unser Land sind und von denen man manchmal erst im Kontrast zu anderen Kulturen erfährt, dass sie typisch für unser Land sind.
Die Muster, die einen Menschen prägen drücken sich in Familiengenerationen, Sprache, Genen, Ideen, Praktiken, Institutionen und Ritualen aus. Diese überindividuellen Muster prägen unsere Psyche und wir sind auf diese Prägungen in den Artikeln über das Ich und den Egoismus bereits ausführlicher eingegangen.

Zwei konträre und sich ergänzende Lesarten

Alles in allem gibt es zwei Lesarten um an das Phänomen Psyche heranzugehen:

  • Variante 1: Es gibt in der Mitte das Ich und um es herum Umwelt, als Hilfsmittel und Zutaten dieses Ichs. In dieser Version hat das Ich die Möglichkeit die Angebote der Welt und anderer Menschen zu nutzen, anzunehmen, aber auch sie zurück zu weisen.
  • Variante 2: Das individuelle Ich wird in diverse Systeme, Anforderungen und Rollen eingespannt und von diesen sozusagen aufgesaugt. Hier ist nicht die Welt der Selbstbedienungsladen für das Ich, sondern das Ich hat diversen Vorstellungen zu entsprechen und wird zerteilt unter den Bedingungen der Welt.

Der Schritt von der Ich-Psychologie zur Objektbeziehungstheorie hat das Ich etwas aus dem Fokus gerückt und die Variante 2 etwas gestärkt, doch letztlich sind das zwei Bewegungen, die sich ergänzen. Das sich entwickelnde Ich setzt noch keine großen, eigenen Impulse und ist eingebunden in die Anforderungen und Bedingungen der Welt und seiner Beziehungen. Doch je reifer das Ich wird, desto mehr ist es in die Lage versetzt aus dem Status des bloßen Rollenspiels auszubrechen und ein reifes Ich zu gründen, was dann wieder die eigenen Vorstellungen stärker betont, ohne auf eine egoistische Stufe zurückzufallen, etwa so, wie wir es in Stufen der Moralentwicklung darstellten.

Die Idee der moralischen Verfeinerung ist hier ebenso zu finden, wie ein neutraler Karmabegriff, der in einer westlichen Variante einfach meint, dass das sich entwickelnde Ich schicksalhaft in Muster eingebunden ist, für die es nichts kann, die aber sein Leben prägen und bestimmen und um die es sich kümmern muss.