Basiert menschliche Kommunikation nur auf ein paar Algorithmen?

Daran wird schon etwas deutlich. Manche schlagen so eine Karriere ein. Als Rockstar kann es dazu gehören, Hotelzimmer zu zerlegen und Drogen zu nehmen, manche Rapper kokettieren mit ihrer Nähe zum kriminellen Milieu, für andere Lebensentwürfe wäre das der soziale Selbstmord. Für Politiker von Splitterparteien, ist Zuspitzung und Monothematik im wahrsten Sinn Programm, will man die Mitte gewinnen, muss man moderat und gemäßigt agieren und argumentieren. Der Mensch zeichnet sich also dadurch aus, dass er ziemlich unterschiedlich ist, soll heißen, nicht nur vielschichtig und widersprüchlich, sondern das Menschsein zerfällt in einzelne Lager.

Der Mensch ist Generalist. Der Kran ist stärker, die künstliche Intelligenz spielt besser Schach und Go, doch andere Vorstöße der Bots scheitern noch immer kläglich. Microsoft hat einen Twitter-Chatbot herausgebracht, doch seine Karriere war kurz, da er sich in Rekordzeit radikalisierte. Nun fragt man sich, lag es man Bot, am Kommunikationspartner Mensch oder an den berühmt-berüchtigten 140 Zeichen?

Menschliche Kommunikation ist nicht so leicht, wie sie für uns manchmal zu sein scheint. Ein paar simple Regeln zu kennen scheint da nicht zu reichen. Vor allen Dingen müssen wir die Ambivalenzen mit einbeziehen. Warum geht in dem einen gesellschaftlichen Kontext das, was im anderen ein „No go“ ist? Die Folgerichtigkeit und Geschlossenheit einer Weltsicht und Einstellung ihrer Anhänger ist ein Aspekt, doch es kann sein, dass es andere Gruppen gibt andere, die ganz anderen Regeln und Vorstellungen folgen, die in sich selbst jedoch wieder logisch folgerichtig sind. Es gibt nicht die eine Weltsicht, der sich alle verpflichten.

In unserer Reihe über die Entwicklungsstufen der Weltbilder sind wir dem in bislang sechs unterschiedlichen Stufen gefolgt: (1), (2), (3), (4), (5), (6). All diesen Weltbildern ist gemeinsam, dass sich Menschen unter ihnen versammeln, Einstellungen und Praktiken teilen, die für dieses Weltbild und seine Festlegungen typisch ist. Es ist ihnen weiter gemeinsam, dass sie sich von den anderen Weltbildern erkennbar unterscheiden und diesen oft skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Doch gemeinsam ist ihnen auch, dass die alle nach dem Muster des Gebens und Verlagen von Gründen funktionieren. Jedes Weltbild verlangt eine gewisse Haltung oder Einstellung von denen, die mit dazu gehören wollen, eine logische Folgerichtigkeit. Teilweise verlangt die Zugehörigkeit Opfer, doch das klingt schlimmer als es ist, denn wenn diese Forderungen ausbleiben, suchen Menschen geradezu nach Orientierung, nicht selten sogar im Lager von Extremisten. Ein Punkt, der noch nicht hinreichend reflektiert wurde.

Kollektive Kränkungen im Sinn der Kränkung der ganzen Menschheit gibt es daher eher nicht. Weil wir zum einen alle etwas anders, individuell sind, aber zugleich auch zu anderen gehören und so sind wie andere – selbst die Gruppe der Hyperindividualisten, die wir im ersten Teil behandelten, wird ja immer größer – also anderen ähnlich sind, versammeln wir uns in typischen Gruppen, die unser Weltbild und Erleben einfangen. Die einen fühlen sich für eine gewisse Zeit hier zuhause, die anderen dort.

Man kennt sich und man scannt sich

So entsteht eine gewisse Verlässlichkeit und man rastert und scannt sich gegenseitig, ob und inwieweit der andere noch „einer von uns“ ist. Die Inhalte sind verschieden, die Struktur ist ähnlich, die größte Klammer des Menschseins insgesamt scheint zu sein, dass wir die bislang einzigen Wesen sind, die einander Gründe geben. Das wechselseitige sich scannen ob und inwieweit wir den damit getroffenen Festlegungen folgen ist nicht alles, wie Habermas kritisierte, Interessierte können hier mehr dazu erfahren.

Kollektive Kränkungen könnten nur auftreten, wenn alle sich gleichermaßen mit einer Idee oder Art zu leben identifizieren würden und das ist nicht der Fall. Was den einen entsetzt, entzückt den anderen, das ist es, was unser soziales Miteinander so spannend, aber auch anstrengend und mitunter frustrierend macht. Unsere Gründe kommen uns gut und richtig vor, doch wir haben oft nicht auf dem Schirm, dass unsere äußere Ähnlichkeit überspielt, wie sehr wir innerlich verschieden sein können.

Die entwicklungspsychologische Kränkung unserer Zeit scheint darin zu bestehen, dass diese Stufen immer wieder auftauchen, unsere Unterschiede und Ähnlichkeiten ganz gut abbilden, wir aber gleichzeitig oft ideologische Vorbehalte gegen Stufentheorien haben. Sie kommen uns unfair und manchmal abwertend vor und haben den üblen Beigeschmack dunkler Momente der deutschen Geschichte. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass die damaligen Kriterien willkürlich gewählt waren. Unsere Kriterien sollten daher nicht ideologisch, nicht willkürlich sein, sondern wissenschaftlich im besten Sinne des Wortes, denn wir dürfen nicht vergessen, dass auch die Wissenschaft mitunter korrumpiert ist.

Wir müssen das sehen, furchtlos offen legen, benennen und das Gute vom Schlechten unterscheiden. Ein rein auf Nützlichkeit abzielendes Weltbild, das meint auf die Unterscheidung zwischen gelungen oder missraten verzichten zu können, gerät schnell an seine Grenzen und ist manchmal ideologischer, als man glauben möchte, vor allen Dingen, als die Anhänger konfrontieren wollen und können.

Strengen wir uns daher an, bleiben wir fair und offen, ohne die Unterschiede wegzureden. Trennen wir das Gute vom Schlechten, aber wir müssen auch diskutieren, wer bestimmt, was gut und schlecht ist und warum wir diesem mehr glauben sollen als jenem. Hierbei kann uns bislang weder die Neurobiologie noch die künstliche Intelligenz helfen. Noch sind wir (soweit wir wissen) die einzigen Wesen, die einander Gründe geben und diese vom anderen verlangen. Das zeichnet uns aus, lässt aber gleichzeitig die Tür geöffnet, für Tiere, Roboter, Aliens und Götter. Reife Individualität ist auf Basis dieser Gemeinsamkeit nicht nur möglich, sondern erwünscht. Das ist auch der Ausweg aus dem oben skizzierten Dilemma: Entwicklung. Wie weit die Entwicklung der menschlichen Natur reicht, wissen wir nicht, ob wir dereinst von Wesen überholt werden, die wir selbst schufen, mag sein. Doch gegen individuelle und kollektive Kränkungen ist Entwicklung ein probates Mittel.

Quellen:

  • [1] Gerhard Vollmer, Die vierte bis siebte Kränkung des Menschen – Gehirn, Evolution und Menschenbild, aus: Aufklärung und Kritik 1/1994 (S. 81 ff.), online: http://www.gkpn.de/vollmer.htm
  • [2] ebd.
  • [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Kr%C3%A4nkungen_der_Menschheit
  • [4] Christian Geyer, Herausgeber und Mitautor, Hirnforschung und Willensfreiheit, Suhrkamp 2004, S.14
  • [5] aus Gunnar Decker, Gottfried Benn – Genie und Barbar, aufbau 2008, S.282
  • [6] Yuval Noah Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, Deutsche Verlags-Anstalt (2013), S. 68f