Archetypen und Geschlechterrollen

Gemälde, Frau mit Sense, rotes Gewand, rückansicht

Der Tod, weiblich und jung auf einem Bild von Jacek Malczewski. © Sztuka Dwadziesciaczteryh under cc

Aber wie ist das nun eigentlich mit den Archetypen? Archetypen sollen Urmuster sein, die von bestimmten gesellschaftlichen Konventionen unabhängig sind. Wie zum Beispiel, dass es Eigenschaften gibt oder geben soll, die an sich sind, wie sie sind, wie das Gebären als urweibliches Prinzip. Allerdings ist das beim Seepferdchen anders, da trägt das Männchen die Eier aus. Und Urmuster sollen ja nicht auf das Menschsein beschränkt sein, sondern auf die gesamte belebte und sogar unbelebte Natur.

Oder etwa die Idee, dass es eine archetypisch männliche und weibliche Urkraft gibt. Das männliche Prinzip ist dabei zeugend, aktiv und energisch, während das weibliche empfangend, passiv und nachgiebig ist. Als Beispiel werden Sonne und Mond genannt, die strahlende, aktive, männliche Sonne und der reflektierende, passive, weibliche Mond. Allerdings ist der Mond in vielen Kulturen männlich und die Sonne weiblich, zufällig auch bei uns.

Gevatter Tod ist in unseren Darstellungen ein alter Mann, gerne etwas knöchern und mit Sense, bei unseren polnischen Nachbarn hingegen ist er eine junge Frau. Also nichts dran, an den Archetypen? In der Frage nach den Geschlechterrollen gibt es einen erbitterten Kampf, nämlich den, ob die Archetypen nun eher ein Destillat aus typischen sozialen Geschlechterrollen sind, oder nicht. In einer historisch überwiegend durch das Patriarchat geprägten Welt, die aus der Sicht der oftmals herrschenden Männer den Frauen die passive, stille, duldsame Rolle zuschreibt und vom Biologischen auf das Soziale übertragen will wären Archetypen eher Rollenbilder. Die andere Seite sagt, dass es doch echte Urmuster in der Welt gibt.

Thorwald Dethlefsen, Psychologe, Esoteriker und unter anderem auch ein Mytheninterpret, rät uns in seinen Vortrag über den Ödipusmythos, die Zuschreibung von bewusstem Geist als männliches und unbewusstem Körper als weibliches Prinzip nicht als eine Erzählung über Historisches oder gar Soziologisches zu betrachten, sondern als die Zuschreibung von Prinzipien, die für beide Geschlechter gelten, denn beide hätten jeweils Körper und Geist.

Die gefühlte Notwendigkeit die Welt in zwei (oder mehr, aber erst mal zwei) grundlegende Prinzipien aufzuspalten ist verbreitet, wir kennen sie als Yin und Yang und in zig anderen Facetten. Auch scheint eine grundlegende Dualität bereits am Anfang unseres Lebens zu stehen. Manches, was dem Neugeborenen begegnet lehnt es deutlich erkennbar und mit dem entpsrechenden Ausdruck von Affekten ab, während es auf anderes ebenso spontan erfreut reagiert und in der Folge versucht, dieses Erlebnis zu wiederholen. Dies ist die Quelle einer grundlegenden Dualität oder Polarität von Gut und Böse.

Dass diese Grunddualität sich vielfältig ver- und entwickelt ist eine jener Erkenntnisse, die unser Menschsein einigermaßen kompliziert macht. Denn die klare und alleinige Einordnung in Gut und Böse ist unzureichend und spätestens da sitzen dann wieder alle (bis auf Fundamentalisten) in einem Boot. Die Ambivalenz, das Überlappen und Zusammenfallen guter und böser Motive ist es, die unser Dasein halbwegs kompliziert macht.

Die Frage, ob es diese Grundprinzipien wirklich gibt, oder ob sie „nur“ eine Zuschreibung von uns sind ist nicht zu klären, denn „es gibt“ vieles nicht, mit dem wir unsere Welt ordnen, auch die hier verwendeten Buchstaben sind, wenn man es so will (und das „es gibt“ als Gabe der Natur betrachtet) eine reine „Erfindung“. Dennoch hat Sprache unsere Welt in radikaler Weise verändert und das oben Gesagte gilt auch hier, man kann Natur und Kultur in letzter Konsequenz nie ganz auseinander dividieren. Man findet immer Muster, die quer durch alle Kulturen auftreten, die Univeralität der Zuschreibung von Gut und Böse und ihr immer währender Kampf gehören beispielsweise dazu.

Wenn wir davon ausgehen, dass Archetypen soziale Zuschreibungen sind, so kommt die Frage auf, wie es denn zu diesen Zuschreibungen kam und ob diese Zuschreibungen in jeder Hinsicht anders sein könnten. Dass man zur Frau gemacht wird, bedeutet ja, auf bestimmte Rollen und stereotype Muster festgelegt zu sein, oft scheinbar, weil die Natur es so wollte. Doch genau das könnte auch ein Ausdruck patriarchaler Strukturen sein.

Beziehungsweisen

Der Paartherapeut Michael Lukas Moeller ist der Ansicht, dass zu etwa 60% die Frauen in Beziehungen die Hosen anhaben. Aber warum sollte man Männer und Frauen und ihre Beziehungsweisen überhaupt nach dem Muster eines Machtkampfes deuten? Man könnte sie auch als stille Absprache deuten und von Zeit zu Zeit werden die Rollen eben neu definiert, je nach dem welche Qualitäten in und von einer Gesellschaft gefordert werden. Wenn der Kampf ums Überleben an erster Stelle steht, ist das sicher etwas ganz anderes als wenn die Hauptsorge der Rente, Bildung oder dem Kampf gegen Langeweile gilt.

Kollege Hans Jelloushek ist der Auffassung, dass in Paaren heute beide den Wunsch haben, progressiv zu leben, jenseits der alten Rollen. Doch dieselben Paare werden in ihrem Verhalten wieder sehr klassisch, wenn Kinder kommen, so seine Beobachtung. Vielleicht sind es Wellen, die uns zu immer ähnlichen Mustern treiben und nach rebellischen und progressiven Jahren, hat zumindest die Jugend seit längerer Zeit wieder den Wunsch nach Stabilität. Sprach eine Studie schon vor Jahren von der Generation Biedermeier, so entdecken neue Untersuchungen ein ähnliches Muster.

Radikalität scheint neuerdings dem Alter vorbehalten zu sein, wie die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich in ihrem Buch „Die Radikalität des Alters: Einsichten einer Psychoanalytikerin“ zum Ausdruck bringt. Ihr Thema ist neben dem Alter auch das Verhältnis der Geschlechter und ein würdigendes Gespräch mit Alice Schwarer im Buch zeigt, wohin die Reise für sie geht.

In der Psychoanalyse, so Mitscherlich in ihrem Buch, haben Männer die Möglichkeit ihre, oftmals verdrängte, weibliche Seite zu leben. Das klingt fast nach C.G. Jung und in der Tat findet man gerade in der Psychoanalyse ein stark ausgeglichenes Verhältnis der Geschlechter. Das Ehepaar Alexander und Margarete Mitscherlich hat es vorgelebt. Sah man zu Beginn der Psychoanalyse noch die Dominanz der Männer, um das Dreigestirn Sigmund Freud, C.G. Jung und Alfred Adler so spielten nach und nach immer mehr Frauen eine auch inhaltlich bedeutende Rolle und die gravierende Wende hin zur Objektbeziehungstheorie ist ohne Margaret Mahler, Edith Jacobson und Melanie Klein überhaupt nicht zu denken.