Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist leider ein allgegenwärtiges Thema in Deutschland. Im Jahr 2017 gab es mehr als 11.000 Ermittlungs- und Strafverfahren wegen sexuellen Kindesmissbrauchs. Hinzu kommen 7.000 Fälle von Kinder- und Jugendpornographie. Doch diese Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs, die Dunkelziffer wird sehr hoch eingeschätzt, da nur ein kleiner Teil der Taten zur Anzeige gebracht wird. Der unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs schreibt, dass etwa jeder siebte bis achte Erwachsene in Deutschland als Kind oder Jugendlicher sexuellen Missbrauch erfahren hat. [1] Es ist demnach wichtig zu diesem Thema Aufklärungsarbeit zu leisten, um präventiv wirken zu können.

Freuds These der Hysterie im Erwachsenenalter

Siegmund Freud stellte 1896 im Verein für Psychiatrie und Neurologie seine Thesen bezüglich der Hysterie im Erwachsenenalter vor. Diese brachte er in Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch im Kindesalter. So sollte jedem Fall von Hysterie ein sexueller Missbrauch vor der Pubertät zugrunde liegen. Seine „große Entdeckung“ stieß jedoch nicht auf Begeisterung, da er dieses verallgemeinernde Gesetz mit Hilfe eines unbekannten methodischen Verfahrens (Psychoanalyse) bewiesen hatte. [2]

Schon kurze Zeit später musste Freud seine Annahme revidieren, da sie sich nicht ausreichend beweisen ließ. Er verleugnete seine vorherige These jedoch nicht vollkommen, sondern fügte ihr einen Zusatz hinzu. Ob sich eine Psychoneurose entwickelt, ist demnach nicht von dem Missbrauch an sich abhängig, sondern in erster Linie von der innerseelischen Weiterverarbeitung des Ereignisses. [3]

Ein sexueller Missbrauch kann viele verschiedene psychische Folgen nach sich ziehen, worauf wir später genauer eingehen. Das Verhalten im Erwachsenenalter nach einem Missbrauch ist multifaktoriell bedingt und somit komplex.

Wie sexueller Kindesmissbrauch definiert ist

Es gibt viele Arten des Kindesmissbrauchs, darunter Vernachlässigung, körperliche Misshandlungen, seelische Gewalt oder sexuellen Missbrauch. Der holländische Kinderschutz-Arzt Dr. A. Koers definiert Kindesmisshandlung als „eine nicht zufällige bewusste oder unbewusste, gewaltsame, psychische oder physische Schädigung, die in Familien oder Institutionen geschieht und die zu Verletzungen, Entwicklungshemmungen oder sogar dem Tod führen kann und die das Wohl und die Rechte eines Kindes beeinträchtigen oder bedroht.“ [4]

Dementgegen ist es schwerer abzugrenzen, was unter sexuellen Missbrauch zu verstehen ist und wie man ihn von einem natürlichen, liebevollen Verhalten unterscheiden kann. Es ist nicht schlimm, wenn ein Kind seine Eltern nackt sieht, oder sie mit ihm kuscheln. Kinder brauchen Zuneigung, Wärme und Liebe, um sich gesund entwickeln zu können. Sexueller Missbrauch hat damit nichts damit zu tun, sondern hat das Ziel „die eigene Sexualität anzuregen und zu befriedigen“. [5]

Die Weltgesundheitsorganisation definiert sexuellen Missbrauch wie folgt:

Sexueller Missbrauch liegt dann vor, wenn Kinder in sexuelle Aktivitäten einbezogen werden, die sie nicht vollständig verstehen, zu denen sie keine informierte Einwilligung geben können oder für die das Kind aufgrund seiner Entwicklung nicht bereit ist und daher kein Einverständnis erteilen kann, oder die Gesetze oder gesellschaftlichen Tabus verletzen. Sexueller Missbrauch von Kindern ist definiert durch diese Art der Aktivitäten zwischen einem Kind und einem Erwachsenen oder einem anderen Kind, das aufgrund des Alters oder seiner Entwicklung in einem Verantwortungs-, Vertrauens- oder Abhängigkeitsverhältnis steht, sofern diese Aktivität dazu dient, die Bedürfnisse der anderen Person zu befriedigen. Dazu gehören unter anderem: die Überredung oder Nötigung eines Kindes, sich an strafbaren sexuellen Aktivitäten zu beteiligen, die Ausbeutung von Kindern in der Prostitution oder andere strafbare Sexualdelikte sowie die Ausbeutung von Kindern in pornografischen Darstellungen und Materialien. [6]

Die Phasen des sexuellen Kindesmissbrauchs

Selbstverständlich verläuft jeder sexuelle Missbrauch anders, es hat sich jedoch gezeigt, dass man bestimmte Phasen beschreiben kann:

1. Die Vorbereitung

Zunächst verbringt der Täter sehr viel Zeit mit dem Kind und versucht sein Vertrauen zu gewinnen. Er verwickelt es oft in Gespräche über Sexualität und beginnt dabei „zufällig“ das Kind an intimen Stellen des Körpers zu berühren. Der Täter lockt das Kind mit Belohnungen, damit es sich in seiner Gegenwart wohlfühlt.

2. Der Missbrauch

In dieser Phase kommt es zu den Übergriffen.

3. Die Geheimhaltung

In dieser Phase überredet oder zwingt der Täter das Kind die Tat geheim zu halten. Beispielsweise spricht er die Drohung aus, dass das Kind ins Heim kommt, wenn es etwas erzählt. Das Kind ist in dieser Phase sehr verwirrt und fühlt sich „zerrissen“. Denn auf der einen Seite kann es die Situation nicht verstehen, doch auf der anderen Seite handelt es sich um eine geliebte Person in ihrem Leben.

4. Die Aufdeckung

In der Phase der Aufdeckung wird der Missbrauch durch das Opfer oder Dritte aufgeklärt. Es ist sehr wichtig, das Opfer ernst zu nehmen.

5. Die Unterdrückung

Nachdem der Missbrauch aufgedeckt wurde, versucht der Täter das Opfer zu überzeugen, dass es seine Aussage zurücknehmen soll. Beispielsweise könnte ein Vater/Stiefvater Schuldgefühle bei einem Kind auslösen, indem er sagt, dass es die Familie zerstören wird. [7]

Anzeichen, dass Kinder sexuell missbraucht wurden

Folgende Anzeichen sprechen dafür, dass ein Kind sexuell missbraucht worden sein könnte:

  • Alpträume der Missbrauchssituation, Schlafstörungen, nächtliche Schweißausbrüche [8], [9]
  • Unspezifische Angstzustände, Panik, anklammerndes Verhalten [10]
  • Misstrauen, Rückzug, soziale Isolation [11]
  • Häufiges Weinen, Bettnässen, Daumenlutschen [12]
  • Weglaufen [13]
  • Schmerzsyndrome (Kopf, Magen, Unterleib) [14]
  • Zerrissene oder blutige Kleidung [15]
  • Blutungen an der Vagina oder am After, Schmerzen beim Urinieren oder Stuhlgang [16]
  • Plötzliches Interesse an Sexualität, wenn es nicht altersgerecht ist [17]
  • Aggressionen, Zorn, Zerstörungswut [18]

Das Vorgehen von Eltern, wenn sie sexuellen Kindesmissbrauch vermuten

Wenn Eltern vermuten, dass ihr Kind sexuell missbraucht wird, dann ist es das wichtigste ruhig zu bleiben und für das betroffene Kind da zu sein.

1: Dem Kind muss das Gefühl vermittelt werden, dass ihm geglaubt wird und dass es ernst genommen wird. Auf keinen Fall sollte dem Kind unterstellt werden, dass es lügt oder phantasiert.

2: Dem Kind muss vermittelt werden, dass es keine Schuld an dem Geschehen trägt. Eltern sollten voll und ganz hinter ihrem Kind stehen.

3: Die Eltern können sich an einen Hilfsdienst in ihrer Nähe wenden.

4: Das Jugendamt sollte eingeschalten werden. Es ist dafür zuständig, das Wohl von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten. [19]

Präventionsmaßnahmen

Man kann in primäre, sekundäre und tertiäre Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch unterteilen. Unter primärer Präventionsarbeit versteht man einen Erziehungsstil, der das Selbstbewusstsein und die Selbstbestimmung des eigenen Körpers fördert. Sekundäre Prävention beschreibt das möglichst frühe Aufdecken und Unterdrücken sexuellen Missbrauchs. Und bei tertiärer Prävention geht es um die Behandlung und Betreuung bereits missbrauchter Opfer. [20]

Nachfolgend wird auf den Erziehungsstil der primären Prävention genauer eingegangen.
Die Grundlage der primären Prävention ist „eine altersgemäße Sexualerziehung und die Möglichkeit, offen mit Kindern über Sexualität zu sprechen.“ [21] Das Ziel ist es, Jungen und Mädchen das Selbstbestimmungsrecht ihres Körpers zu vermitteln. Kinder sollten aufgeklärt werden, was unter sexuellem Missbrauch verstanden wird. Es geht nicht darum ein prägendes Aufklärungsgespräch mit dem Kind zu führen, sondern um einen begleitenden Prozess über das gesamte Kindesalter. [22]

Offene und selbstbewusstseinsfördernde Erziehung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sexueller Missbrauch durch eine offene und selbstbewusstseinsfördernde Erziehung des Kindes vermindert werden kann. Die präventiven Ansätze zielen darauf ab, selbstbestimmte Menschen heranzuziehen. Es lässt sich vermuten, dass sich durch den Erziehungsstil, welcher sich über die letzten Jahrhunderte herausgebildet hat, sexueller Missbrauch zurückgegangen ist. Allerdings kann man diese These keinesfalls bestätigen. Die Dunkelziffer der Opfer ist und war stets uneinsichtig. Es ist jedoch wichtig, sich auf das Vorankommen, wenn es um die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs geht, zu fokussieren. So können präventive, und natürlich auch interventive, Erfolge erzielt werden.

Quellen