Gut und böse treffen es nicht

Gut und böse reichen nur bedingt aus um diese Welt angemessen zu beschreiben, denn es gibt sozusagen Menschen, die das Böse gut finden und Gutes schwer ertragen können, oder, wie wir schon mal zitierten:

„Die Phänomene des Wiederholungszwangs, die Syndrome des Sadismus und Masochismus, die negative therapeutische Reaktion, Suizid bei schweren Depressionen und, nicht zu vergessen, destruktives und selbstdestruktives Verhalten als Teil von gruppendynamischen Prozessen lassen erkennen, dass Selbstdestruktivität ein zentrales motivationales System darstellt, das zuweilen das gesamte Verhalten beherrscht.“[4]

Bei dieser Vermischung sind bereits Spitzenaffekte im Spiel.

Wann werden Affekte zu Spitzenaffekten?

Bärtiger Mann mit wütendem Gesicht

Ärger und Wut sind häufige Affekte. © Isengardt under cc

Kurz gesagt: Wenn sie nicht integriert werden können. Affekte sind Erlebnisse mit anderen, die einsortiert werden. In die Katergorien von mehr oder weniger wichtig und die allzu belanglosen vergessen wir wieder. Doch manche Erfahrungen sind so überwältigend, dass sie überhaupt nicht verarbeitet werden können, sie sind in gewisser Weise außerhalb jeder Kategorie.

Das Erleben moderater Affekte ist wie das stetige Errichten eines Hauses, langsam, mühsam, wie in dem Kinderlied der fleißigen Handwerker: „Stein auf Stein, Stein auf Stein, das Häuschen wird bald fertig sein.“ Auch hier geht es um den Umbau der affektiven Rohstoffe von Gut und Böse zu einem soliden Haus, in dem man geschützt ist und sich behaglich einrichten kann. Spitzenaffekte sind ein Tornado der durch die Baustelle fegt und im schlimmsten Fall stetiger Wiederholungen alles einreißt, was errichtet wurde oder sogar dafür sorgt, dass nichts errichtet werden kann. Alles liegt in Trümmern vor einem.

Wenn das passiert macht die Psyche etwas an sich sehr geniales. Das Leben muss ja weiter gehen und wenn das neue Haus einfach nicht entstehen will, greift die Psyche auf das zurück, was sie schon kann und errichtet erneut eine vorübergehende Hütte, die allerdings sehr anfällig für Einflüsse vom außenist. Aber, das Konzept ist erprobt und funktioniert, es ist das Konzept von Gut und Böse. Eine Art Notprogramm verglichen mit dem, was möglich wäre, aber auch ein sehr erfolgreiches Notprogramm.

Spitzenaffekte, Traumata und Persönlichkeitsstörungen

Spitzenaffekte sind dann gegeben, wenn das Kind mit Reizen überflutet wird und diesen schutzlos ausgesetzt ist, in dem Sinne, dass das nicht versteht, was vor sich geht und vor allem, wenn es aus eigener Kraft an der Situation nichts ändern kann. Immer wieder in einigen Phasen der Kindheit tauchen solche Eindrücke auf und sind nahezu unvermeidlich. Das können simple Reize von Außen oder aus dem eigenen Körper sein. Das Kind friert oder hat eine schmerzhafte Entzündung. Normalerweise ist es die Aufgabe der Mutter die üblen Reizquellen zu beseitigen und wenn sie das Fenster auch schließen und das Kind beruhigend wiegen kann, so ist sie bei einer hartnäckigen frühen Ohrentzündung ganz einfach machtlos. Chronischer Schmerz wird aber als Versagen der Mutter interpretiert, von der erwartet wird, dass sie zaubern kann und alle Probleme löst. Die Mutter wird dann, ohne, dass sie etwas dazu kann und ohne große Möglichkeit etwas daran zu ändern, zur überwiegend bösen Mutter, das heißt, in der Welt des Kindes taucht öfter die böse Mutter auf, als die gute.

Umso schlimmer ist es, wenn die Spitzenaffekte von der Mutter oder dem nächsten Umfeld selbst ausgelöst werden. Eine der leider realen Möglichkeiten sind physische Aggressionen. Geschüttelte, verbrühte, halb erstickte Kinder von vollkommen überforderten oder schwer desinteressierten Eltern. Der sexuelle Missbrauch, der vor keiner Altersklasse Halt macht. Oder, wenn das Kind schwere Aggression oder große Gefahr in der Umgebung miterlebt. All das sind Spitzenaffekte, in Verbindung mit einem bestimmten Menschen, einer bestimmten Situation, die zu Traumatisierungen führen.

In jungen, aber auch in späteren Jahren, wenn traumatisierende Ereignisse ins Leben eines Menschen einbrechen. Der Begriff Trauma ist in der Psychologie der letzten Zeit leider inflationär verwendet worden, so dass auf einmal alles zum Trauma gemacht wurde, siehe auch unser Artikel über das Lob. Es ist kein Trauma, wenn kein Bier mehr im Kühlschrank ist oder man sich kurz erschreckt. Ein Trauma ist eine als überwältigend erlebte Situation, die man nicht verarbeiten kann, oft mit Lebensgefahr verbunden. Ein schwerer Autounfall, eine Geiselnahme, Kriegserlebnisse, das sind echte Traumata.

Doch es kann auch sein, dass man unter entsetzlichen chronischen Bedingungen aufwächst. Dauernd betrunkene und misshandelnde Eltern, ein sadistischer Heimaufseher, dem man nicht entkommen kann, sexueller Missbrauch über viele Jahre. Das sind die Situationen, in denen kein schützendes Haus errichtet werden kann. Man ist immer und immer wieder Spitzenaffekten ausgesetzt und das geht oft nur auf Kosten von Dissoziationen, in dem Erlebnisse einfach ausgeblendet werden, so als wären sie nie geschehen.

Verpfuschte Objektbeziehungen haben einen starken Einfluss, vermutlich den stärksten auf die Psyche. Dass Spitzenaffekte unter dem Einfluss von Schmerzen, sexuellem Missbrauch, Sadismus und Gewalt zu finden sind, versteht sich von selbst, doch Spitzenaffekte scheinen auch dann schädlich zu sein, wenn sie positiv sind. Das mit „Liebe“ überhäufte Kind, das ständig im Fokus steht und von dessen kleinsten Fortschritten die Welt wissen muss, ist ebenfalls nicht gut dran.